reiseberichte
china
Im bevoelkerungsreichsten Land – November 04


Inhalt

Beijing by bike

Ess- und andere Gewohnheiten

Von Mammut zu North Fake

Die Verbotene Stadt

Auf der groessten Mauer der Welt

Ein fast verpasster Zug…

…und ein Bus mit Betten

Ein Trekking "suedlich der Wolken"

Karstfelsen, Touristen und ein unverschaemter Schuhputzer

Wo die Menschen Nummern sind

 


Beijing by bike

Auch wenn mittlerweile die Autos das Strassenbild in Peking dominieren, so ist das Zweirad noch immer stark praesent. Jede Strasse ist von einer breiten Velospur gesaeumt, auf der es zu Stosszeiten so richtig abgeht. Bei einem Strassenhaendler kaufen wir fuer je einen Fuenfliber uralte Klapperstuehle und radeln mit Tausenden von Chinesen durch die Stadt. Migg's Exemplar hat wohl schon viel gesehen. So alt, wie es aussieht, ist es bestimmt schon seit Mao Zedongs Zeiten unterwegs.

 

In Peking faehrt jeder, der sich kein Auto leisten kann, Fahrrad. Und das sind viele! Von uralt bis blutjung, mit Stoeckelschuhen, Kravatte oder Schuluniform. Das Fahrrad transportiert nicht nur Leute, sondern alles erdenkliche, das von A nach B gebracht werden soll. Auf angebauten Ladeflaechen finden je nach Bedarf Kuehlschraenke, Aquarien mit Fischen, Autopneus, Fruechte, kleine Hunde in Kaefigen oder andere erstaunliche Dinge Platz. Auf den Velostreifen herrscht Anarchie. Der Staerkere und Schnellere ist der Gewinner, und gemeinsam kaempfen alle gegen die Masse von Autos an. Man faehrt bei gruen, bei rot und wenn's passt auch immer mal gegen die Fahrtrichtung. Steht ein Verkehrspolizist im Weg, umrundet man ihn elegant.





Peking ist auf den ersten Blick alles andere als schoen. Oft haengt eine Dunstglocke ueber der Stadt, ein Hochhaus uebertrumpft das andere. Die breiten Strassen sind voll mit stinkenden Autos. Erst wenn man in die Hutong-Quartiere eintaucht, entdeckt man das wahre Peking, da, wo die Stadt lebt. Die Hutongs sind die schmalen Gaesschen in den alten Quartieren Pekings. Die Leute leben in hofartig angeordneten Steinhaeuschen, die traditionellerweise den Haupteingang nach Sueden hin haben. Manche Gassen sind so schmal, dass man mit dem Velo gerade noch durchkommt.

 

Kaum von der Hauptstrasse abgebogen, findet man sich in einer komplett anderen Welt wieder. Vollgepackte Kraemerlaeden, kleine Gemuesehaendler und Garkuechen bilden ein buntes Durcheinander. Auf der Strasse werden lebendige Huehner und Goldfische feilgeboten und nicht selten sieht man einen Coiffeur, der seinen Kunden mitten in der Gasse die Haare schneidet. Auch Velowerkstaetten gibt's an jeder Ecke. Als uns nachts um elf die Fahrradkette reisst, brauchen wir nicht weit zu suchen. Gearbeitet wird bis spaet in die Nacht, denn das Geld wird dringend gebraucht. Waehrend der Velomech sich draussen um unsere neue Kette kuemmert, bittet uns seine Frau hinein, da es sehr kalt ist. Waehrend bei uns den meisten Familien selbst eine Dreizimmerwohnung zu klein ist, liegt hier fuer viele nicht mehr als ein Raum drin. Das Zimmer ist vielleicht zwanzig Quadratmeter gross, dient gleichzeitig als Werkstatt und Wohnraum fuer vier Personen. Die meisten Haeuser haben keine sanitaeren Anlagen. Muss man aufs Klo, tut man dies auf der oeffentlichen Quartiertoilette. Das ist ein stinkendes Steinhaeuschen mit eingelassenen Schlitzen im Boden, ueber die man sich nebeneinander hinhockt (wohlbemerkt ohne Zwischenwaende als Sichtschutz). Zwischen der uralten Oma und dem jungen Maedchen, das eifrig am SMS schreiben ist, verrichtet man dann sein Geschaeft. Der Empfang muss hier wohl besonders gut sein…

 

Leider bedeutet Olympia 2008 das Aus fuer viele Hutongs. Quartierweise werden sie niedergerissen, um riesigen Wohnblocks und Buerotuermen Platz zu machen. Denn Peking putzt sich raus, die Regierung will Ordnung schaffen, um in der Welt einen guten Eindruck zu hinterlassen. Statt dreckiger Hinterhoefe sollen spiegelnde Hochhaeuser in den Himmel wachsen, statt schmale Gaesschen sechsspurige Autostrassen entstehen. Schade, denn die Stadt verliert damit ihren einzigartigen Charme.


Ess- und andere Gewohnheiten

Nach der “gemuesearmen” Mongolei erscheinen uns Chinas Strassen wie das Schlaraffenland schlechthin. Ueberall sind exotische Fruechte und Gemuese aufgetuermt, und das in einer Vielfalt, wie wir sie noch nie gesehen haben. In einem Land mit so vielen Klimazonen wie China waechst aber auch buchstaeblich alles.

 

Da sich unser chinesischer Wortschatz auf "ni hao - hallo", "zaijien - tschuess" und "schischie - danke" beschraenkt und die Schrift sowieso ein Thema fuer sich ist, ist es nicht immer so einfach, das Essen zu bestellen. Doch ein Besuch in der Kueche klaert (fast) alle Missverstaendnisse. Es ist spannend, in die Kuehlschraenke und Toepfe zu schauen und mit dem Finger auf jenes Kleegewaechs oder auf jene Sojasprossen zu zeigen, die man essen moechte. Beim Fleisch suchen wir jeweils jenes aus, das unserer Vorstellung von Huhn, Kuh- oder Schweinefleisch am naechsten kommt. Und solange man nicht weiss, was genau man isst, schmeckt es auch hervorragend. Wir essen so viel, dass unsere verlorenen Kilos bald wieder da sind. Was uns an der chinesischen Esskultur besonders gefaellt, ist das Teilen der Gerichte. Man bestellt verschiedene Menus, die einfach auf den Tisch gestellt werden und jeder nimmt sich was er will. Fuer Migg zwar nichts Neues, er bedient sich ja schon immer aus Carolines Teller.


In Peking gibt es eine Food-Flaniermeile mit kleinen Staenden, die immer abends geoeffnet haben. Dort kriegt man frisch zubereitete Spiesschen aller Art, mit aufgereihten Kaeferlarven, Heuschrecken oder kleinen Fledermaeusen. Schon die kleinsten Kinder kauen genuesslich an den Koestlichkeiten rum. Alles eine Frage der Gewohnheit!

 

Die Chinesen essen fuer unsere Begriffe extrem unanstaendig. Sie schaufeln sich das Essen in Rekordzeit mit den Staebchen in den Mund, viele rauchen zwischendurch Zigaretten. Sie hinterlassen einen Tisch, der uebersaet ist mit Essensresten, Huehnerknochen und Zigarettenstummeln. Ins gleiche Kapitel gehoert die Spuckerei. Die Chinesen und natuerlich auch die Chinesinnen holen den Schleim geraeuschvoll von tief unten in den Mund hoch und spucken in hohem Bogen auf den Boden. Dann wird das ganze noch mit dem Schuh verstrichen, mmmh…

 

Die entweihte Peking-Ente

Genauso wie in St. Gallen kein Weg an der Olma-Bratwurst vorbeifuehrt, kommt man hier nicht an der Peking-Ente vorbei. Wir ziehen also mit ein paar Leuten los in ein Peking-Enten-Restaurant. In einem separaten Raum wird die Ente mit der knusprigen Haut aufgetragen. Der Kellner schneidet fein saeuberlich kleine Stueckchen ab, die er auf einem Teller arrangiert und uns hinstellt. Lecker lecker, aber wo ist der Rest? Das kann doch nicht alles gewesen sein! Migg will’s wissen und geht in die Kueche. Den Rest, erzaehlen ihm die Chinesinnen, esse man nicht. Den Locals wuerden sie ihn jeweils mitgeben, um daraus Suppe zu machen. Nach einer Weile kommt Migg zurueck mit einer Plastiktuete. Wir packen die restliche Ente aus und beginnen, das Fleisch genuesslich von den Knochen zu nagen, wie wir uns das vom Brathaehnchen gewohnt sind. Der Vorhang, der den Raum seitlich vom Hauptrestaurant abtrennt, beginnt sich zu bewegen, und mehrere Augenpaare starren uns an. Eine Kellnerin traut sich schliesslich rein und meint, wir sollen bitte die Tuere schliessen, damit die chinesischen Gaeste nicht sehen, was wir da tun… Zugegebenermassen sind wir schon fast ein bisschen stolz, dass wir die Chinesen, die ja punkto Anstand und Sitte nicht gerade als Musterbeispiel gelten, so vor den Kopf stossen.


Von Mammut zu North Fake

China ist bekanntlich die Nummer eins, wenn's um Faelschungen geht. Auf den produktespezifischen Maerkten findet man alles erdenkliche, sei es eine Rolex-Uhr oder die ganze Mircrosoft-Palette. Bei den Kleidern wird teilweise so schlecht gefaelscht, dass es bereits wieder lustig ist. So findet man zum Beispiel eine Jacke im klassischen North Face-Schnitt mit aufgenaehtem "Helly Hansen"-Logo oder eine Trekking-Hose der Marke "Victorinox, Swiss Made".


Da unsere Mammut-Jacken ja seit einiger Zeit nicht mehr wasserdicht sind, dachten wir uns, wir versuchens mal mit einer North Fake-Jacke (im Bild), vielleicht sind die ja gar nicht soo schlecht. Aber oh doch, sie sind es! Sie sind so atmungsaktiv wie Oelzeug und etwa so wasserabweisend wie Baumwolle. Dafuer aber fast gratis! Das heisst, nach harten Verhandlungen. Man verhandelt in China ueber alles und wird beschissen, wo irgendwie moeglich. Manchmal macht's Spass, doch mitunter ist es so anstrengend, dass man sich wuenscht, einfach wiedermal in ein Geschaeft reinlaufen zu koennen, wo die Preise fix sind.


Die Verbotene Stadt

"My name is Bond, James Bond", Roger Moore's Stimme (Audioguide) fuehrt uns entlang der pompoesen Hauptachse durch die Hoefe, Tempel und Palaeste der Verbotenen Stadt, indem er uns von den alten Zeiten des Kaisertums erzaehlt. Kaum zu glauben, wie offen die politischen Systeme Chinas sind, so engagieren sie doch bereits Englische Geheimdienstangehoerige als Fremdenfuehrer.

 

Die Verbotene Stadt ist 960 Meter lang, 750 Meter breit und ist von einem Wassergraben sowie einer Mauer umrahmt. Sie umfasst den ehemaligen Kaiserpalast, der die Wohnstätte für 24 chinesische Kaiser über den Zeitraum von 491 Jahren zwischen 1420 und 1911 war. Seit die Verbotene Stadt nur noch so heisst und es nicht mehr ist, besuchen taeglich hunderte von Menschen das Palastmuseum. Doch trotz der vielen Leute ist etwas vom Zauber erhalten geblieben. Geht man ueber das Kopfsteinpflaster und ueber die breiten Treppenlaeufe nach oben, wird man mit etwas Vorstellungskraft zurueck in die Vergangenheit versetzt. Zu gerne moechte Migg des Kaisers Konkubinen in Natura sehen...


Bei unserem Besuch, der sich aus wetter- bzw. fototechnischen Gruenden ueber zwei Tage hinaus zieht, ist ungefaehr ein Viertel der Anlage abgesperrt (unter Renovation oder vielmehr Rekonstruktion). Kein Wunder, schliesslich soll sich ja auch das Palastmuseum waehrend der Olympiade 2008 von seiner besten Seite zeigen. Fuer uns ist es jedenfalls interessant zu sehen, wie die Bauarbeiter auf den verschiedenen Etagen des Baugeruestes sitzen und den Moertel stufenweise hoeher schaufeln.

 

Waehrendem wir das Gelaende erkunden, lachen wir uns kaputt ueber die chinesischen und japanischen Gruppenreisenden, die, alle mit gleichfarbigen Baseballmuetzen, hinter einer Reiseleiterin mit aufgespanntem Schirm her trotten. So hat halt jeder seine eigenen Vorstellungen von wegen Museumsbesuch... wir jedenfalls waren ganz gluecklich mit James Bond!


Auf der groessten Mauer der Welt

Sie zieht sich von der Ostkueste bis in die Wueste Gobi, war einmal ueber 5000 Kilometer lang und ist an den hoechsten Stellen bis zu zehn Meter hoch. Die Grosse Mauer, eines der unglaublichsten Bauwerke der Welt, dessen Bau wohl so manches Menschenleben gekostet hat. Auf der Mauer zu stehen und ein Stueck darauf zu gehen, ist ein eindrueckliches Erlebnis. Nicht weit von Peking gibt es viele Stellen, die noch sehr alt und teilweise dem Zerfall nahe sind. Im Gegensatz zu den sauber renovierten und rekonstruierten Teilen der Mauer haben die ruinenartigen Passagen eine ungeheure Ausstrahlung. "Ruinenromantik" vom Feinsten, auch wenn es natuerlich schade ist, dass das imposante Bauwerk so vor sich hinbroeckelt. Die Mauer schlaengelt sich von Bergspitze zu Bergspitze durch die Landschaft, geht unglaublich steil hinauf und wieder hinunter, bis sie schliesslich am fernen Horizont verschwindet. Ab und zu unterbricht ein steinerner Wachturm die Schlangenlinie. Wir laufen zehn Kilometer rauf und runter und geniessen die Stimmungen, hervorgerufen durch aufsteigende Nebelschwaden sowie die Sonne. Einziger Stoerfaktor sind ein paar besonders ehrgeizige Chinesinnen, die uns hinterhersteigen und erst nach Kilometer fuenf endlich verstehen, dass wir ihnen keine Postkarte abkaufen moechten. Doch da kommen bereits ihre Kolleginnen von der Gegenseite, die jetzt uebernehmen und ihr Glueck hartnaeckig auch noch versuchen.

 

Als wir an unserem Ziel ankommen, wird klar, dass der Mauerbesuch hier bald sehr touristisch wird. An der Strasse steht ein Restaurant mit dem netten Namen "Lonely Planet". Eigentlich tragisch, wohin die Idee, eigenstaendige Reisefuehrer zu schreiben, gefuehrt hat.





Die Landschaft, die wir von der Grossen Mauer aus gesehen haben, ist braun in braun. Dies hat zwar durchaus seinen Charme im Licht der untergehenden Sonne! Doch wir beschliessen in diesem Moment einstimmig, dass wir wieder mehr Gruen und Farbe brauchen. So reisen wir weiter suedwaerts nach Kunming, in die “Stadt des ewigen Fruehlings”.


Ein fast verpasster Zug…

Wiedereinmal sind wir zu spaet losgezogen. Wer daran Schuld ist, lassen wir einmal dahingestellt. Wir halten im Zentrum von Peking ein Taxi an, doch der Chauffeur winkt gleich ab, als wir sagen, zu welchem Bahnhof wir wollen. Langsam wird die Zeit wirklich knapp. Unser Zug nach Kunming faehrt in zwanzig Minuten, und wir sind noch weit vom Bahnhof entfernt. Schliesslich haelt ein Motorrad mit angebauter Sitzflaeche neben uns an. Wir steigen ein und fahren los. Ueberall dichter Stau, doch unser Fahrer gibt alles! Er faehrt auf dem Velostreifen, dann wieder auf der Strasse und ueberholt die stehenden Autos im Slalom. Am Bahnhof angekommen, rennen wir mit unseren schweren Rucksaecken los zum Bahnsteig. Eine Kontrolle am Eingang will uns aufhalten, doch wir rennen einfach weiter. Wir springen in den Zug, der auch gleich abfahert. Endlich finden wir den richtigen Wagen und setzen uns ersteinmal hin um tief durchzuatmen. Geschafft! An die 60 Leute starren uns an, ohne etwas zu sagen. Die Betten sind dreistoeckig angeordnet, jedoch nicht in verschlossenen Abteilen, sondern nur durch schmale Trennwaende voneinander abgegrenzt. Es riecht nach Schweissfuessen und Instantnudeln.

 

Fuer zwei Tage und zwei Naechte werden wir in diesem Zug sein und halb China durchqueren. Der Vergleich zur Transsib ist wie Tag und Nacht. Hier herrscht Disziplin, alles ist durchorganisiert. Die Vorhaenge werden vom nummerierten Personal puenktlich um sechs vorschriftsgemaess zugezogen, die Schuhe auf den Zentimeter unter der Bank verstaut. Jeder hat seinen eigenen, verschliessbaren Becher Tee dabei, der immer wieder neu aufgegossen wird. Viele trinken auch einfach heisses Wasser. Die Leute vertreiben sich die Zeit mit dem Kauen von Sonnenblumenkernen oder spielen Karten. Leider haben sie nicht die Froehlichkeit, Gemuetlichkeit und Gastfreundschaft der Russen, die alles mit einem teilen. Vielmehr wirken sie eher verschlossen und distanziert. Misstrauisch beaeugen sie uns. Nach einigen Anlaeufen, mit den Leuten zu kommunizieren, geben wir auf. Muede kommen wir in Kunming an. Tatsaechlich bluehen hier die Bougainvilleen und die Strelizien (Blumen), und mitten im November liegt ein Hauch von Fruehling ueber der Stadt.


…und ein Bus mit Betten

Als wir einsteigen wollen, finden wir die Tickets nicht mehr. Ueberall suchen wir, doch ohne Erfolg. "Vielleicht haben wir sie heute Nachmittag aus Versehen weggeworfen, als wir unseren Papierkram aufraeumten", meint Caroline. Die laechelnde Chinesin laesst uns nicht in den Bus. "Sie sehen doch, dass zwei Plaetze leer sind", versucht Migg sie zu ueberzeugen. Keine Chance, ohne Ticket geht nichts. Der Motor laeuft bereits, alle sind schon eingestiegen. Ploetzlich beginnt Migg an seinem Bein herumzunesteln und zieht die Tickets unter der Hose hervor. Er hat sie in sein Geheimtaeschchen geschoben und konnte sich nicht mehr daran erinnern… Lautes Gelaechter rundherum. Alle freuen sich, dass wir doch noch einsteigen koennen. Auf zwei Etagen sind in Fahrtrichtung schmale Betten angeordnet. Aus dem Lautsprecher klimpert Richard Claydermann, draussen sind die Tausend Lichter von Kunming zu sehen. Am Fernsehen laeuft ein uralter Bud Spencer-Film, und der Chinese neben mir zuendet sich schon wieder eine Zigarette an.

 

Wir erwachen abrupt, als der Bus mitten im Nichts anhaelt. Ein Kontrollposten! Uniformierte Maenner stuerzen herein, schreien etwas, und alle nehmen ihre Identitaetskarte raus. Schaerfstens werden alle kontrolliert, wir muessen aussteigen und unser Gepaeck identifizieren. Besonders eine Frau wird richtig schikaniert. Sie muss ihre ganze Tasche ausraeumen. Als sie widerspricht, wird sie nur noch lauter angeschrien.

 

Morgens um vier kommen wir in Jinghong an, einer Stadt unweit der Grenze zu Burma. Wieder sind wir ueber Nacht in einer komplett neuen Welt angelangt. Es ist sehr warm, und ueppige Palmen saeumen die Strassen.


Ein Trekking "suedlich der Wolken"

Rundherum froehlich lachende Gesichter. Verstohlen beobachten uns die Frauen, tuscheln miteinander und laecheln uns dann zu. Sie tragen bunte Frotteetuecher um den Kopf, gemusterte Roecke und farbige Blusen. Wir sitzen in einem klapprigen Bus und fahren auf schmalen Naturstrassen durch eine immer gruener werdende Landschaft nach Damenlong, einem Dorf in der Naehe von Jinghong im Sueden Chinas. Es liegt in der Provinz Yunnan, was uebersetzt soviel heisst wie "suedlich der Wolken". In dieser Region leben verschiedene Minderheiten, die verwandt sind mit den Burmesen, den Tibetern oder den Thailaendern. Sie sprechen ihre eigenen Sprachen und verstehen kaum Mandarin (die offizielle Sprache Chinas). Sie scheinen relativ unabhaengig zu sein und von der Regierung ziemlich in Ruhe gelassen zu werden. Die hat naemlich gemerkt, dass es fuer ihr Image wichtig ist, die Minoritaeten zu foerdern. So blufft sie nach aussen hin gerne mit der hohen Anzahl verschiedener Voelker, die in China so friedlich zusammenleben.

 

Damenlong ist ein kleines Doerfchen mit dutzenden von Gemischtwarenlaeden und ein paar Restaurants. Das Essen ist hier ganz anders als in Peking. Wir bekommen scharf gewuerztes Gemuese, dazu eine lokale Spezialitaet: Fischpaste, die in ein Bananenblatt eingeschlagen ist.

 

Am naechsten Tag geht es los. Wir wandern fuer einige Tage durch den suptropischen Dschungel. Der Weg schlaengelt sich durchs gruene Paradies mit imposanten Baumriesen, auf deren Aesten sich Farne eingenistet haben oder mit Bambussen, deren Rohr-Durchmesser bis zu 20 Zentimeter betraegt. Durch die Luft fliegen Unmengen bunter Schmetterlinge. Wo kein Urwald ist, finden sich entweder terrassierte Kautschukplantagen, Reisfelder, eingezaeunte Gemuesegaerten oder Bananenstauden.

 

Die Wanderung ist nicht sehr anspruchsvoll. Der Weg ist stellenweise sogar so breit, dass er von Autos befahrbar ist. Trotzdem haben wir unseren Challenge: Den schweren Rucksck mit der gesamten Ausruestung. Wir hatten vorgehabt, im Zelt zu schlafen, doch entweder ist das Gelaende zu steil, zu dicht bewachsen oder wird landwirtschaftlich genutzt. So uebernachten wir schliesslich in den Doerfern und bezahlen den Leuten etwas fuer Essen und Uebernachtung. Es ist spannend, die Holzhaeuser von innen zu sehen. Vergleichbar mit den Huetten der Pfahlbauer, liegt der Wohnraum erhoeht auf Holzstelzen oder gemauerten Pfosten. Unten sind die Huehner, Hunde und Schweine zu Hause, waehrendem oben die Menschen leben. Ueber eine wackelige Holztreppe gelangt man in den Wohnraum. Es dauert eine Weile, bis sich die Augen ans Halbdunkel gewoehnt haben. Es gibt keine Fenster, nur schmale Schlitze in der Wand. Im Zentrum ist eine Feuerstelle in den Boden eingelassen. Wir setzen uns ans Feuer und schauen dem Vater beim Kochen zu. Mit Haenden und Fuessen unterhalten wir uns mit der Familie. Der eine Sohn faehrt draussen mit dem Motorrad hin- und her, waehrend der andere gerade seine Kleider waescht. Wir fragen, wo man hier zur Toilette gehen kann. Denn ueberall sind Leute, man kann sich nicht einfach elegant ein Stueck vom Haus entfernen. Der Vater zeigt uns das Dorfklo, das leicht erhoeht liegt. In der Klorinne wimmelts nur so von kleinen Maden. Der naechste Regen wird alles wegspuelen. Doch wohin? Direkt unterhalb des Klos liegen die Reisfelder des Dorfes…

 

Am anderen Morgen wecken uns die Dorfhaehne, die einer nach dem anderen schreien. Nach dem Fruehstueck (Reis mit Papaya) schnallen sich Mutter und Tochter geflochtene Koerbe auf den Ruecken und gehen in den Wald, um Holz zu suchen. Der Vater bastelt zu Hause irgendetwas rum. Auch wir ziehen los und sind bald umringt von einer Gruppe Kinder, die auf dem Weg zur Schule sind. Die meisten gehen Barfuss. Sie spielen und lachen mit uns, gehen ein Stueck vor und kommen wieder zurueck.





Nach einigen Tagen kommen wir in Bulangshan an und uebernachten im Hinterzimmer eines kleinen Restaurants. Am anderen Morgen regnet es in Stroemen. Das Wasser laeuft wie ein Bach die Dorfstrasse hinunter. Zum Glueck sind wir nicht mehr unterwegs… In einem alten Bus fahren wir zurueck nach Jinghong. Es ist Markttag, und ueberall steigen Leute zu. Die Frauen wuchten ihre vollen Koerbe in den Bus, Kinder zwaengen sich zwischen den Leuten durch, alle versuchen reinzukommen, ohne zu bezahlen. Ein kleiner Junge reist mit seinem jungen Huendchen, dass immer wieder verlorengeht im Getuemmel.

 

Das Trekking durch die gruene Landschaft war wunderschoen, hat uns aber auch zum Nachdenken ueber Tourismus veranlasst. Mit unseren riesigen Rucksaecken muessen wir den Leuten wohl vorgekommen sein wie Marsmenschen. Und doch sind sie sich wohl schon einiges gewoehnt, denn die Wanderung ist im Lonely Planet beschrieben. Es ist immer ein gewisser Zwiespalt da. Einerseits will man Orte entdecken, die vom Tourismus verschont geblieben sind, anderseits macht man vielleicht genau damit etwas kaputt. Da, wo wir waren, sind die Doerfer noch sehr urspruenglich. Die paar Lonely-Planet-Trekker sind zu wenige, als dass sich die Leute auf ihr Geld als Einnahmequelle verlassen koennten. So leben sie weiterhin ihr Leben, gehen auf die Reisfelder und in die Kautschukplantage und nehmen das Geld der Touristen als willkommenes Extra. Schade ist, dass der Weg an mehreren Orten im Ausbau ist. Sobald die Autos zu den Doerfern gelangen, werden sie sich wohl veraendern.


Karstfelsen, Touristen und ein unverschaemter Schuhputzer

Die Region um Yangshuo in der Provinz Guangxi in Suedchina ist bekannt fuer ihre pittoresken Karstberge, die wie riesige Finger in den Himmel ragen. Backpacker aus aller Welt und Touristen aus Japan, Hongkong und auch aus China selbst kommen hierher, um die aussergewoehnlich schoene Szenerie zu sehen und mit Booten den Li Jiang herunterzufahren.

 

Wir lassen das touristische Yangshuo hinter uns und radeln raus in die wunderschoene Landschaft, die den Ort so beruehmt gemacht hat. Hier haben wir unsere Ruhe. Wir passieren abgeerntete Reisfelder, auf denen die getrockneten Grashalme zu dekorativen Buendeln geschnuert da stehen. Nach einer Stunde erreichen wir ein kleines Dorf, wo an diesem Tag buntes Markttreiben ist. In geflochtenen Rundkoerbern warten fette Hennen darauf, dass ihnen der Hals umgedreht wird, dahinter rennen innerhalb einer Umzaeunung hunderte von kleinsten Entchen rum. Ein Stueck weiter zieht ein Mann einem toten Hund gerade das Fell ab. In der "Abteilung Bambus" werden Koerbe, Besen und andere handgemachte Werkzeuge verkauft. Ein alter Mann mit riesiger, schwarzer Hornbrille schnitzt an einer langen, laengs halbierten Bambusstange. Mit Gesten erklaert er uns, dass man sich die Stange schraeg ueber die Schultern legt und an den beiden Enden Lasten, zum Beispiel Koerbe mit Fruechten anhaengt. Durch die Elastizitaet des Bambus wird das Gewicht schoen abgefedert.


Zurueck In Yangshuo werden wir vom Schuputzer an der Strassenecke so richtig abgezockt. Wir lassen uns unsere dreckigen Wanderschuhe putzen und vereinbaren einen Preis dafuer. Waehrend er putzt, weist er Migg daraufhin, dass seine Schuhe an den Naehten mehrere Loecher aufweisen. Ob er sie gleich flicken soll? Wie aufmerksam und nett, denken wir und sagen ja. Als wir bezahlen, verlangt er einen horrenden Preis, der so unrealistisch hoch ist, dass wir laut lachen muessen. Wie auch die umstehenden Leute, die das ganze mitbekommen haben. Doch es ist ihm ernst. Er behauptet, der Leim und der Faden, der er verwendet habe, seien sehr teuer. Wir handeln lautstark mit ihm und druecken den Preis tiefer und tiefer. Irgendwann haben wir genug von dieser laecherlichen Diskussion, die kein Ende nehmen will. Wir bezahlen ihm den immer noch ueberhoehten Preis und ziehen ab. Seither putzen wir die Schuhe halt wieder selber…


Wo die Menschen Nummern sind

Die Chinesen sind sehr arbeitsam, alles geht ruckzuck. Polizisten, Bahnangestellte und selbst McDonalds Angestellte tragen statt Namens- nur Nummernschilder. Der Kommunismus, beziehungsweise die grosse Menschenmasse, laesst keinen Raum fuer Individualismus. Der Mensch ist primaer eine nummerierte Arbeitskraft in Uniform. Was allgemein auffaellt ist, dass ein Grossteil der Leute sehr altmodisch und konservativ gekleidet ist. Da sieht man kaum weite Ausschnitte oder kurze Roecke. Junge Leute sind interessiert an Fremden. Sie kommen freundlich auf einen zu und beginnen ein Gespraech (How are you? Where are you from?). Schnell merkt man, dass sie primaer ihr Englisch ausprobieren wollen. Wie kleine Computer stellen sie die gelernten Standardfragen, lassen sich aber nicht wirklich auf ein tieferes Gespraech ein. In den Staedten sind die westlichen Einfluesse deutlich spuerbar, und China hat sich nach aussen in den letzten Jahren geoeffnet. Doch die Bevoelkerung ist noch immer vielen Restriktionen ausgesetzt, hat kaum Rechte, wenig Freiheit.

 

Ein paar Australier, die wir kennenlernten und die waehrend eines Jahres als Englisch-Lehrer auf dem Land gearbeitet haben, erzaehlen uns beispielsweise, dass sie waehrend ihrer Lektionen mit der Videokamera laufend ueberwacht wurden. Ausserdem mussten sie einen Vertrag unterschreiben, dass sie ueber bestimmte Themen nicht sprechen wuerden. Im Gegensatz dazu werden die Schueler bewusst auf bestimmte Themen senisbilisiert, die aus Sicht des Staates von Bedeutung sind. So wird beispielsweise waehrend einer der ersten Schullektionen die Japanische Invasion behandelt und die Kinder kriegen so gleich im zarten Jugendalter eine Abneigung gegen die Japaner.

 

Die Information des Volkes wird genau gesteuert. Die chinesische Fernsehstation strahlt auch einen englischen Sender aus, der schon fast amuesant anzuschauen ist. Die Sendungen sind unverfaenglich, sehr propagandamaessig und immer schoen harmlos. Das Motto: “China ist super!" Ein Aufstand zwischen Muslimen und Han-Chinesen in Zentralchina, der zur Zeit unseres Aufenthaltes stattfand, wurde beispielsweise in den Nachrichten mit keinem Wort erwaehnt. In den meisten Internet-Cafes ist eine Ueberwachungssoftware installiert, und sehr viele Internetseiten sind gesperrt. Doch das Internet bringt bestimmt Veraenderung. Denn so schnell sind selbst die Chinesen nicht, dass sie die Flut von Internetseiten noch im Griff haetten. Wer sich informieren will, hat heute auf jeden Fall mehr Chancen als frueher. Doch leider nutzen die meisten Einheimischen die Internet-Cafes, um daemliche Computerspiele zu spielen…

 

Noch immer werden in China mehr Todesstrafen verhaengt als in allen andern Laendern zusammen, Menschenrechtsverletzungen sind an der Tagesordnung. Und noch immer ist Tibet besetzt. Doch die internationale Wirtschaft investiert da, wo’s rentiert, und keiner will es verpassen, am boomenden Chinesenmarkt teilzunehmen.

 

Voila, bestimmt ist nun auch unsere Internetseite in China gesperrt!




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Last update:  02:19 28/02 2007